Das Gedächtnis ist ein psychisches System, das für die Aufnahme, Speicherung und den Abruf von Informationen zuständig ist. Es ist jedoch kein «Ort» im Gehirn, sondern ein Netzwerk verschiedener psychischer Prozesse und Hirnregionen, wie der Grosshirnrinde und subkortikalen Bereichen. Damit wir etwas aus dem Gedächtnis abrufen können, muss es zunächst dort gespeichert werden. Das bedeutet, dass wir lernen müssen.
Lernen ist die Reaktion unseres Gehirns auf gemachte Erfahrungen. Ein Tag hat 86 400 Sekunden, und in jeder Sekunde prasseln unzählige Sinneseindrücke auf uns ein. Wir sehen, riechen, hören und schmecken, schütteln Hände, sprechen mit anderen, reagieren emotional und bewerten Erlebtes. Kurz gesagt, wir machen ständig neue Erfahrungen und erweitern unser Wissen. Selbst im Schlaf nehmen wir unbewusst Eindrücke auf.
Erst wenn eine Erfahrung langfristige Veränderungen im Gehirn bewirkt, sprechen wir von Lernen. Viele Gedächtnisinhalte sind uns nicht aktiv bewusst – so muss man nicht darüber nachdenken, wie man Schuhe bindet. Auch unseren riesigen Wortschatz rufen wir problemlos ab, ohne nachzudenken. Lernen erzeugt neue neuronale Verbindungen im Gehirn. Diese Verknüpfungen bilden ein neuronales Netz, das durch wiederholte Lernerfahrungen stabiler wird. Je mehr Sinne und Emotionen in den Lernprozess einbezogen sind, desto besser wird die Information gespeichert.
Unser Gehirn besteht aus 100 bis 150 Milliarden Nervenzellen, die schon bei der Geburt vorhanden sind. Danach werden kaum neue gebildet. Die Nevernzellen gehen Verbindungen zueinander ein – eine einzelne Nervenzelle kann mit Hunderten oder sogar Tausenden anderer Nervenzellen verbunden sein. Diese Verbindungen bilden neuronale Netzwerke, die unsere Lernerfahrungen widerspiegeln. Lernen bedeutet, dass neue Verbindungen entstehen oder bestehende Verbindungen zwischen Nervenzellen gestärkt werden. Je häufiger eine bestimmte Erfahrung gemacht wird, desto stabiler wird die synaptische Verbindung zwischen den Nervenzellen.
Lernen in der Grosshirnrinde ist ein langsamer Prozess und lebt von Wiederholung. Dabei kommt es nicht auf die Dauer der Lernzeit an – kürzere, aber häufige Lerneinheiten sind effektiver. Den grössten Erfolg erzielt man, wenn das Gehirn immer wieder auf verschiedene Arten stimuliert wird (hören, sehen, fühlen, sprechen).
Obwohl noch nicht alle Details über das Lernen im Gehirn bekannt sind, lässt sich der Prozess in bestimmten Bereichen gut erklären. Bewusste Gedächtnisinhalte werden in der Grosshirnrinde gespeichert. Dort existieren verschiedene Felder, die mit spezifischen Gedächtnisinhalten verbunden sind. So ist die Bedeutung eines Begriffs an einem anderen Ort gespeichert als die akustische Erkennung (Hörfeld) oder dessen visuelle Darstellung (Sehfeld).
Für die langfristige Speicherung von Gedächtnisinhalten spielt das limbische System eine zentrale Rolle. Es verarbeitet Emotionen und entscheidet, ob Informationen dauerhaft gespeichert werden sollen (Übergang vom Kurzzeit- zum Langzeitgedächtnis). Besonders der Hippocampus und die Amygdala des Limbischen Systems haben einen grossen Einfluss auf den Lernprozess. Der Hippocampus fungiert als Filter, durch den alle Informationen hindurch müssen, um langfristig gespeichert zu werden. Informationen, die mit Gefühlen oder Bildern verbunden sind, gelangen besonders leicht ins Langzeitgedächtnis. Wiederholte, monotone Informationen können jedoch dazu führen, dass der Hippocampus den Filter schliesst. Abwechslung und Spass sind daher wichtig, um den Lernprozess zu fördern. Es wird auch vermutet, dass der Hippocampus und die Grosshirnrinde während des Schlafs aktiv miteinander kommunizieren. Schlaf ist somit entscheidend für das langfristige Abspeichern von Informationen.
Das menschliche Gehirn besteht aus der linken und der rechten Gehirnhälfte, wobei jede Seite bestimmte Funktionen übernimmt. Die linke Gehirnhälfte ist für logisches Denken, Analyse und Sprache zuständig, während die rechte Gehirnhälfte Kreativität, Intuition und räumliches Denken fördert.
Linke Hirnhälfte
Sprache, lesen, rechnen
Ratio, Logik
Regeln und Gesetze
Konzentration auf Details
Analyse und wissenschaftliches Denken
Schritt-für-Schritt-Prozesse
Zeitempfinden
Rechte Hirnhälfte
Körper- und Bildsprache
Intuition, Gefühl
Kreativität und Spontanität
Sprunghaftigkeit und Neugier
Kunst, Tanz, Musik
Zusammenhänge erkennen
Raumempfinden
Im Gehirn ist die Amygdala für die Verarbeitung von Angst zuständig. Sie funktioniert wie eine empfindliche Alarmanlage: Bei Gefahr geraten wir in Erregung und reagieren entsprechend. Angst blockiert jedoch die Kreativität und stört den Lernprozess. Um erfolgreich zu lernen, muss die emotionale Atmosphäre stimmen. Negative Emotionen wie Drohungen oder Strafen aktivieren die «Alarmanlage» und hindern uns am Lernen. Lernen funktioniert am besten in einer positiven und entspannten Stimmung – Angst hat hier nichts zu suchen.